Chambers Global 2021 The Legal 500 Who's Who Legal Thought Leaders Arbitration 2021 Who's Who Legal 2019 Client Choice winner 2016 Expert Guides

Publikationen

Frist verpasst

Eine Schied­sklägerin hat ihre Klageschrift bei Fristablauf nicht ein­gere­icht. Das Schieds­gericht erin­nert die Klägerin spon­tan an die abge­laufene Frist und set­zt gle­ich eine Nach­frist an, obwohl in den Schied­sregeln ein anderes Vorge­hen sta­tu­iert ist. Das Bun­des­gericht hebt den so ergan­genen Schied­sentscheid nicht auf. Vor dem aus­ländis­chen Voll­streck­ungsrichter kön­nte die Klägerin allerd­ings weniger Glück haben.

Kom­men­tar von Simon Gabriel zu Urteil 4A_405/2016 vom 2. März 2017

Sachver­halt

[1] Am 29. Juli 2015 leit­ete der Vere­in B (Kläger und Beschw­erdegeg­n­er) mit «Notice of Arbi­tra­tion» ein Schiedsver­fahren gegen die let­tis­che Gesellschaft A (Beklagte und Beschw­erde­führerin) ein. A antwortete mit­tels «Answer to the Notice», die eine Widerk­lage enthielt (E. A).

[2] Die Swiss Cham­bers’ Arbi­tra­tion Insti­tu­tion («SCAI») ernan­nte eine Einzelschied­srich­terin. Diese erliess am 16. Dezem­ber 2015 eine «Con­sti­tu­tion Order». Am 14. Jan­u­ar 2016 erliess sie eine «Pro­ce­dur­al Order No. 2», die «nach Absprache und Zus­tim­mung der Parteien», prozes­suale Regeln und einen vor­läu­fi­gen Zeit­plan enthielt (E. A).

[3] Gemäss Zeit­plan lief die Frist für die voll­ständi­ge Klageschrift (State­ment of Claim) offen­bar am 15. Feb­ru­ar 2016 ab. An diesem Datum hat B offen­bar keine Eingabe gemacht (E. A).

[4] Vielmehr wandte sich die Schied­srich­terin am 16. Feb­ru­ar 2016 offen­bar spon­tan an A, erkundigte sich nach dem Verbleib der Klageschrift und ersuchte, dass diese gle­ichen­tags ein­gere­icht werde, sofern dies noch nicht geschehen sei. Am sel­ben Tag über­sandte B schliesslich die Klageschrift (E. A).

[5] In der Folge beantragte A, die Klageschrift sei als ver­spätet zurück zu weisen und das Ver­fahren sei betr­e­f­fend Klage zu been­den (E. A).

[6] Mit Ver­fü­gung vom 7. März 2016 wies die Schied­srich­terin den Antrag von A mit der Begrün­dung ab, sie habe die Frist um einen Tag erstreckt und innert erstreck­ter Frist, sei die Klageschrift schliesslich eingegangen:

«With e­mail of 16 Feb­ru­ary 2016, the Sole Arbi­tra­tor has asked Claimant whether it had already filed its sub­mis­sion and whether it had by any chance not received such e­mail the day before. For the event, Claimant had not done so, the Sole Arbi­tra­tor has then explic­it­ly request­ed Claimant to file its State­ment of Claim still the same day and has, thus, grant­ed an exten­sion of 1 day to file such sub­mis­sion. Claimant there­after filed its State­ment of Claim on this 16 Feb­ru­ary 2016 and has com­plied with the extend­ed dead­line» (E. A).

[7] Das Schiedsver­fahren wurde mit Bezug auf Klage und Widerk­lage fort­ge­set­zt und endete mit einem Schied­sentscheid vom 8. Juni 2016 (E. A).

[8] A ver­langte mit Beschw­erde in Zivil­sachen, der Schied­sentscheid sei aufzuheben. Der Vere­in B und die Einzelschied­srich­terin beantragten, die Beschw­erde sei abzuweisen (E. B).

Entscheid

[9] A rügt, das Schieds­gericht habe gegen den Grund­satz der Gle­ich­be­hand­lung der Parteien sowie den Grund­satz des rechtlichen Gehörs gemäss Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG ver­stossen: Es habe trotz der Fristver­säum­nis von B dessen Klage zuge­lassen und das Ver­fahren dies­bezüglich fort­ge­set­zt, statt dieses gemäss den Regeln der Swiss Rules zu been­den. Gle­ichzeit­ig sei dieses Vorge­hen mit dem prozes­sualen Ordre pub­lic im Sinne von Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG unvere­in­bar (E. 3.1).

[10] Das Bun­des­gericht set­zt sich zuerst mit der Rüge der Gehörsver­let­zung und der Ungle­ich­be­hand­lung auseinan­der. Es bestätigt seine langjährige Ausle­gung dieser Grund­sätze wie folgt:

  1. Die Recht­sprechung leit­et aus dem Gehör­sanspruch ins­beson­dere das Recht der Parteien ab, sich über alle für das Urteil wesentlichen Tat­sachen zu äussern, ihren Rechts­stand­punkt zu vertreten, ihre entschei­d­wesentlichen Sachvor­brin­gen mit tauglichen sowie rechtzeit­ig und form­richtig offerierten Mit­teln zu beweisen, sich an den Ver­hand­lun­gen zu beteili­gen und in die Akten Ein­sicht zu nehmen.
  2. Der Grund­satz der Gle­ich­be­hand­lung gebi­etet zudem, dass die Parteien während des gesamten Schiedsver­fahrens gle­ich behan­delt wer­den, so dass sie die gle­ichen Möglichkeit­en haben, ihren Stand­punkt vorzubrin­gen (E. 3.2).

[11] Eine Ver­let­zung dieser Grund­sätze erken­nt das Bun­des­gericht nicht:

[12] Eine Ungle­ich­be­hand­lung würde gemäss Bun­des­gericht nur dann vor­liegen, wenn A die Klageant­wort eben­falls einen Tag ver­spätet ein­gere­icht hätte und die Schied­srich­terin die B gewährte Fris­ter­streck­ung der A nicht gewährt hätte. Dies war vor­liegend jedoch nicht der Fall (E. 3.3).

[13] Betr­e­f­fend Gehörsver­let­zung argu­men­tierte A ins­beson­dere, die Schied­srich­terin habe B in Ver­let­zung zwin­gen­der Ver­fahren­sregeln Gehör eingeräumt, wo B keines hätte find­en dür­fen. Als Antwort auf dieses Argu­ment macht das Bun­des­gericht fol­gende Ausführung:

«Der Umstand allein, dass eine im Schied­sre­gle­ment vorge­se­hene Ver­fahren­sregel von den Parteien gewollt und für das Schieds­gericht verbindlich ist, macht diese Regel aber nicht zu einem zwin­gen­den Ver­fahrens­grund­satz im Sinne von Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG (BGE 117 II 346 E. 1b/​aa)».

[14] Zudem erwäh­nt das Bun­des­gericht, dass in der Lehre zu den Swiss Rules vertreten werde, dass bei (knapp) ver­späteter Klageein­re­ichung nicht in jedem Fall zwin­gend die Ver­fahrens­beendi­gung ange­ord­net wer­den müsse. Damit kommt das Bun­des­gericht zum Schluss, dass keine Gehörsver­let­zung vor­liegt, zumal A nicht behauptete, sie sei zur Klage nicht mehr gehört wor­den (E. 3.3).

[15] Danach set­zt sich das Bun­des­gericht mit der Rüge, der ver­fahren­srechtliche Ordre pub­lic («pub­lic pol­i­cy») sei ver­let­zt wor­den, auseinan­der. Die bish­erige Ausle­gung des Begriffs wird eben­falls bestätigt: Ein Ver­stoss gegen den ver­fahren­srechtlichen Ordre pub­lic liegt bei ein­er Ver­let­zung fun­da­men­taler und all­ge­mein anerkan­nter Ver­fahrens­grund­sätze vor, deren Nicht­beach­tung zum Recht­sempfind­en in einem unerträglichen Wider­spruch ste­ht, so dass die Entschei­dung als mit der in einem Rechtsstaat gel­tenden Rechts­ und Wer­tord­nung schlech­ter­d­ings unvere­in­bar erscheint (E. 3.2).

[16] Ohne nähere Begrün­dung schliesst das Bun­des­gericht, dass der bean­standete Man­gel an for­maler Strenge des Schieds­gerichts für sich betra­chtet keine fun­da­men­tal­en und all­ge­mein anerkan­nten Ver­fahrens­grund­sätze ver­let­zt (E. 3.3).

[17] Damit weist das Bun­des­gericht die Beschw­erde ab, soweit es darauf ein­tritt (E. 4).

Kom­men­tar

[18] Der vor­liegende Fall ist prak­tisch rel­e­vant und rechtlich span­nend weil er drei typ­is­che Fragestel­lun­gen miteinan­der verbindet: Erstens, der ger­ade in inter­na­tionalen Ver­fahren immer wieder zu beobach­t­ende «Klas­sik­er» der ver­passten Frist. Zweit­ens, die Frage nach dem Ver­hält­nis von Ver­fahrensvere­in­barun­gen und prozes­sualen Min­i­mal­gar­antien. Drit­tens, die Frage nach der Kon­se­quenz, wenn sich eine Partei an prozes­suale Regeln hält, die andere jedoch nicht.

[19] Erstens: Es ist nicht erstaunlich und wohl auch nicht zu bean­standen, dass sich das Bun­des­gericht im Ergeb­nis nicht in das Ermessen des Schieds­gerichts ein­mis­cht, Fris­ten in einem konkreten Fall zu verlängern.

[20] Zweit­ens: Es scheint unstre­it­ig, dass die Parteien die rel­e­vante Frist und die Kon­se­quenz bei Nichtein­hal­ten im Sinne von Art. 182 Abs. 2 IPRG als verbindlich vere­in­bart hat­ten («von den Parteien gewollt und für das Schieds­gericht verbindlich»; E. 3.3.). In der Tat sieht Art. 28 Abs. 1 Swiss Rules eine für Schied­sregeln ungewöhn­lich scharf for­mulierte Regel vor:

«If, with­in the peri­od of time set by the arbi­tral tri­bunal, the Claimant has failed to com­mu­ni­cate its claim with­out show­ing suf­fi­cient cause for such fail­ure, the arbi­tral tri­bunal shall issue an order for the ter­mi­na­tion of the arbi­tral proceedings».
(Art. 28 Abs. 1 Swiss Rules, Her­vorhe­bung hinzugefügt)

[21] Auf welch­er Basis sich das Schieds­gericht vor­liegend entsch­ieden hat, (i) spon­tan (d.h. ohne Fristver­längerungsantrag der ver­späteten Partei), (ii) ohne Erfra­gen von Entschuldigungs­grün­den und (iii) ohne Anhörung der Gegen­seite eine Fristver­längerung auszus­prechen, geht aus dem Entscheid nicht hervor.

[22] Mit Blick auf die vom Bun­des­gericht erwäh­n­ten Lit­er­aturstellen erschiene zumin­d­est eine sorgfältige Abwä­gung der Inter­essensla­gen der Parteien unter Anhörung aller Betrof­fe­nen als sachgerecht (Radjai/​Oetiker, in: Zuber­büh­ler und weit­ere [Hrsg.], Swiss Rules of Inter­na­tion­al Arbi­tra­tion, 2. Aufl. 2013, N 9 und 14 zu Art. 28; all­ge­mein auch Schneider/​Scherer, in: Basler Kom­men­tar, Inter­na­tionales Pri­va­trecht, 3. Aufl. 2013, N 87 zu Art. 182 IPRG)

[23] Das Schieds­gericht riskiert jedoch vor­liegend, dass der Schied­sentscheid gemäss Art. V.1(d) der New York Con­ven­tion inter­na­tion­al nicht voll­streck­bar ist, da er dem von den Parteien vere­in­barten Ver­fahren wider­spricht (Gabriel, Should Pro­ce­dur­al Orders Be Con­strued as Par­ty Agree­ments Bind­ing on the Arbi­tral Tri­bunal?, ASA Bull. 1/2014, p. 167). Dieses Risiko sollte nach vor­liegend vertreten­er Ansicht nicht leichthin einge­gan­gen wer­den und die beab­sichtigte Hil­festel­lung an die Klägerin kön­nte sich leicht in ihr Gegen­teil verkehren.

[24] Drit­tens: Wie wäre der iden­tis­che Fall zu beurteilen, wenn die Klage rechtzeit­ig aber die Widerk­lage ver­spätet einge­gan­gen wäre? Dies­falls hätte sich die Klägerin bere­its an die Ver­fahren­sregeln gehal­ten und die Beklagte (und Widerk­lägerin) hätte von ein­er unvorherse­hbaren Regelän­derung während des Ver­fahrens zu ihren Gun­sten profitiert.

[25] In ein­er solchen Kon­stel­la­tion kön­nte allen­falls das Prinzip von Treu und Glauben mit angerufen wer­den. Bere­its 1989 haben Poudret/​Lalive/​Reymond fest­ge­hal­ten, dass eine Änderung der Prozess­regeln, nach­dem sich eine Partei daran gehal­ten hat, wider Treu und Glauben sein kann. Diese Ansicht wurde in der neueren Lehre wieder aufgenom­men (Gabriel/​Buhr in: Hausheer & Wal­ter (Hrsg.), Bern­er Kom­men­tar zur Schweiz­erischen Zivil­prozes­sor­d­nung, Band III, Bern 2014, Rz. 103 zu Art. 373). Der Grund­satz von Treu und Glauben gehört zu den fun­da­men­tal­en Schweiz­er Rechts­grund­sätzen (s. BGE 102 Ia 574 E. 6) und dessen Ver­let­zung kann vor Bun­des­gericht im Zusam­men­hang mit ein­er Ungle­ich­be­hand­lung gerügt werden.

[26] Schliesslich noch ein Detail: Obwohl die Schied­srich­terin einen eige­nen Antrag auf Abweisung der Beschw­erde gestellt hat (welchem gefol­gt wurde), hat ihr das Bun­des­gericht keine Entschädi­gung zuge­sprochen. Damit bleibt es dabei, dass Stel­lung­nah­men des Schieds­gerichts im Beschw­erde­v­er­fahren erfol­gsun­ab­hängig auf Kosten des Schieds­gerichts gehen.