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Minimalgarantie versus Verfahrensvereinbarung

Der vor­liegende Entscheid bet­rifft die Beschränkung des Ver­fahrens auf einen Schriften­wech­sel durch Parteivere­in­barung. Das Schieds­gericht hat auf dieser Grund­lage einen Antrag der Klägerin auf Rep­lik im Schiedsver­fahren abgewiesen. Das Bun­des­gericht erachtet dieses Vorge­hen als zuläs­sig. In hochrel­e­van­ten Aus­führun­gen äussert es sich zur Anwend­barkeit der EMRK auf Schiedsver­fahren und zum Ver­hält­nis zwis­chen Min­i­mal­gar­antien und Verfahrensvereinbarungen.

Kom­men­tar von Simon Gabriel zu Urteil 4A_342/2015 vom 26. April 2016

Sachver­halt

[1] Eine Gruppe von türkischen Gesellschaften, die im Bere­ich Her­stel­lung von elek­trischen Geräten tätig sind («Gruppe X» oder die «Klägerin­nen»), und eine deutsche Gesellschaft («Z GmbH» oder die «Beklagte») schlossen im Herb­st 2003 einen Aktienkaufver­trag («SPA»; E. A).

[2] Gemäss SPA sollte die Beklagte sich­er­stellen, dass ein bes­timmter Distributions­vertrag auf unbes­timmte Zeit abgeschlossen wird. Das SPA enthielt eine Schiedsvere­in­barung mit Ver­weis auf die ICC Schied­sor­d­nung und Sitz in Zürich. Es wurde türkisches Recht für anwend­bar erk­lärt (E. A.b).

[3] Im Okto­ber 2003 wurde der besagte Dis­tri­b­u­tionsver­trag gemäss SPA abgeschlossen. Im Mai 2008 wurde der Dis­tri­b­u­tionsver­trag aus diversen Grün­den gekündigt, woraus unter anderem ein Stre­it über die Gültigkeit des SPA ent­stand (E. A.c).

[4] Am 1. Okto­ber 2013 leit­eten die Klägerin­nen ein Schiedsver­fahren nach den Bes­tim­mungen der ICC Schied­sor­d­nung gegen die Beklagte ein. Sie beantragten ins­beson­dere Fest­stel­lung, dass das SPA auf­grund der Kündi­gung des Distributions­vertrags unwirk­sam sei und rück­abgewick­elt wer­den müsse. Die Beklagte beantragte im Wesentlichen die Abweisung der Klage (E. B.a).

[5] Die Beklagte machte (unter anderem) gel­tend, dass die Kündi­gung des Distributions­vertrags und das rechtliche Schick­sal des SPA nicht kausal zusam­men­hin­gen. Sie beantragte mit Schreiben vom 3. April 2014, diese Frage sei nach ein­ma­ligem Schriften­wech­sel vor­ab durch das Schieds­gericht zu entschei­den. Die Klägerin­nen erk­lärten sich mit Schreiben vom 10. April 2014 mit der Ver­fahren­saufteilung («bifur­ca­tion») ein­ver­standen (E. B.b).

[6] Aus­ge­hend von den übere­in­stim­menden Anträ­gen der Parteien erk­lärte sich das Schieds­gericht mit der Ver­fahren­saufteilung eben­falls ein­ver­standen und lud die Parteien am 6. Mai 2014 zu ein­er tele­fonis­chen Ver­fahrens­man­age­men­tkon­ferenz ein («case man­age­ment conference»).

[7] Am 15. Mai 2014 wurde der Schied­sauf­trag («ToR») von den Parteien und den Mit­gliedern des Schieds­gerichts unterze­ich­net. In Zif­fer 88 der ToR wurde expliz­it fest­ge­hal­ten: «Pur­suant to Respondent’s let­ter of 3 April 2014 and Claimants’ response of 10 April 2014, the pro­vi­sion­al timetable will pro­vide for the Arbi­tral Tri­bunal to decide, after the sub­mis­sion of the State­ment of Defence, in an arbi­tral award whether Claimants have suc­ceed­ed in estab­lish­ing a legal basis for their claims» (E. B.b.).

[8] Am 29. August 2014 reicht­en die Klägerin­nen die Klage, am 19. Dezem­ber 2014 die Beklagte die Klageant­wort ein. Am 4. Feb­ru­ar 2015 ver­fügte das Schieds­gericht Ver­fahrenss­chluss für den ersten Teil des Schiedsverfahrens.

[9] Am 5. Feb­ru­ar 2015 beantragten die Klägerin­nen eine Gele­gen­heit, um auf ange­blich neue Tat­sachen- und Rechts­fra­gen in der Klageant­wort mit neuen Zeu­ge­naus­sagen und Exper­tisen zu replizieren. Die Beklagte beantragte am 6. Feb­ru­ar 2015 die Abweisung dieses Antrags (E. B.c).

[10] Das Schieds­gericht wies den Antrag der Klägerin­nen auf einen zweit­en Schriften­wech­sel am 10. Feb­ru­ar 2015 unter Bezug­nahme auf Zif­fer 88 ToR und weit­ere Doku­mente ab. Gemäss dem Schieds­gericht hat­ten sich die Parteien ein­deutig darauf geeinigt, dass nach einem Schriften­wech­sel über die Frage des allen­falls zusam­men­hän­gen­den Ver­trags entsch­ieden wer­den sollte. Weit­er hät­ten die Klägerin­nen nicht begrün­det, weshalb sie das Ver­fahren abän­dern woll­ten, das sie mit der Beklagten gemein­sam vere­in­bart hatten.

[11] Mit Eingabe vom 16. Feb­ru­ar 2015 macht­en die Klägerin­nen unter anderem gel­tend, die objek­tive Ausle­gung der Prozess­regeln lasse nicht zu, ihnen das Rep­likrecht voll­ständig abzuschnei­den. Das Schieds­gericht habe ihren Anspruch auf rechtlich­es Gehör in einem kon­tradik­torischen Ver­fahren nach Art. 182 Abs. 3 IPRG ver­let­zt. Die Beklagte wider­sprach mit Eingabe vom 20. Feb­ru­ar 2015 und führte unter anderem aus, das rechtliche Gehör gebe keinen Anspruch auf ein unlim­i­tiertes Replikrecht.

[12] Am 4. März 2015 wies das Schieds­gericht den Antrag der Klägerin­nen auf einen zweit­en Schriften­wech­sel in einem begrün­de­ten Entscheid ab und bestätigte den Abschluss der ersten Ver­fahren­sphase. Es hielt unter anderem fest, die Klägerin­nen hät­ten in die Ein­schränkung ihres Rep­likrechts eingewil­ligt. Und selb­st wenn den Parteien ein Rep­likrecht zuge­s­tanden hätte, wäre dieses auf­grund der Eingaben der Parteien vom 5./16. und 6./20. Feb­ru­ar 2015 gewahrt wor­den. Die vorge­bracht­en Beweis­mit­tel befand das Schieds­gericht zudem in ein­er antizip­ierten Beweiswürdi­gung als für den Entscheid des Schieds­gerichts in der Sache uner­he­blich (E. B.c).

[13] Mit Teilschied­sentscheid (« par­tial award») vom 27. Mai 2015 stellte das Schieds­gericht fest, dass die Kündi­gung des Dis­tri­b­u­tionsver­trags nicht zur Unwirk­samkeit des SPA geführt habe und wies die entsprechen­den Klage­begehren ab.

[14] Mit Beschw­erde in Zivil­sachen beantragten die Klägerin­nen vor dem Bun­des­gericht die Aufhe­bung des Schied­sentschei­ds und macht­en eine Gehörsver­let­zung im kon­tradik­torischen Ver­fahren, eine Ungle­ich­be­hand­lung der Parteien und die Ver­let­zung des prozes­sualen und materiellen Ordre pub­lic gel­tend (E. C.).

Entscheid

[15] Das Bun­des­gericht befasst sich ins­beson­dere mit der Rüge der Klägerin­nen, das Schieds­gericht habe die Parteien nicht gle­ich behan­delt und den Anspruch der Parteien auf rechtlich­es Gehör in einem kon­tradik­torischen Ver­fahren mehrfach ver­let­zt (E. 4).

[16] Das Bun­des­gericht ver­weist aus­führlich auf seine bish­erige Recht­sprechung zu den Min­i­mal­gar­antien in inter­na­tionalen Schiedsver­fahren (Art. 182 Abs. 3 und 190 Abs. 2 IPRG; E. 4.1.1). Es führt ins­beson­dere aus, in der Schweiz werde das Rep­likrecht in einem kon­tradik­torischen Ver­fahren (basierend auf Art. 6 EMRK) nicht ohne Gren­zen gewährt. Vielmehr bestün­den zahlre­iche Ein­schränkun­gen, ins­beson­dere im Bere­ich der inter­na­tionalen Schieds­gerichts­barkeit. Die Partei ein­er Schiedsvere­in­barung könne sich im bun­des­gerichtlichen Beschw­erde­v­er­fahren nicht direkt auf die EMRK berufen. Somit dürfe die strenge Recht­sprechung des EuGH zur Gehörsver­let­zung nicht direkt auf interne und inter­na­tionale Schiedsver­fahren über­tra­gen wer­den. Ein punk­tueller Verzicht auf das rechtliche Gehör ex ante sei zuläs­sig, wenn er bewusst erfolge (E. 4.1.2).

[17] Im Zen­trum ste­ht die Rüge der Klägerin­nen, das Schieds­gericht habe keinen zweit­en Schriften­wech­sel ange­ord­net sowie keine weit­eren Beweis­mit­tel zuge­lassen und damit ihr rechtlich­es Gehör in einem kon­tradik­torischen Ver­fahren verletzt.

[18] Das Bun­des­gericht weist die Rüge der Klägerin­nen ab. Zur Begrün­dung führt es ins­beson­dere aus, das Schieds­gericht habe auf­grund der vorge­bracht­en Tat­sachen­be­weise verbindlich fest­gestellt, dass sich die Parteien auf einen Schriften­wech­sel geeinigt hät­ten. Das Schieds­gericht habe aus ein­er prozes­sualen Tat­sache (der im Ver­fahren fort­laufend geäusserte Wille der Parteien in ihren jew­eili­gen Eingaben) eine andere prozes­suale Tat­sache (die Exis­tenz ein­er Vere­in­barung, welche das Rep­likrecht beschränkt) abgeleit­et. Dieses Beweis­ergeb­nis betr­e­f­fend Fak­ten sei für das Bun­des­gericht verbindlich.

[19] Die prozes­suale Vere­in­barung der Parteien gelte als lex spe­cialis und mache die Rüge der Klägerin­nen obso­let. Da das Rep­likrecht nicht abso­lut gelte, ste­he ein­er das Rep­likrecht beschränk­enden Parteivere­in­barung nichts ent­ge­gen. Ins­beson­dere kon­nten die Klägerin­nen die Trag­weite und Kon­se­quen­zen der Vere­in­barung genü­gend ein­schätzen. Sie waren sich im Zeit­punkt der Vere­in­barung bewusst, dass die Beklagte in der Klageant­wort neue Beweise präsen­tieren würde, die sie wegen der Beschränkung des Rep­likrechts nicht mehr wür­den wider­legen kön­nen. Das Zurück­kom­men der Klägerin­nen auf die Vere­in­barung ist damit gemäss Bun­des­gericht gegen Treu und Glauben erfol­gt (E. 4.2.2.1 und 4.2.2.2).

[20] Betr­e­f­fend Rüge der Klägerin­nen, die Nichtab­nahme ihrer Zeu­ge­naus­sagen und Exper­tisen ver­let­ze die vere­in­barten prozes­sualen Regeln sowie ihren Gehör­sanspruch im kon­tradik­torischen Ver­fahren, erwägt das Bun­des­gericht: Die Parteien hät­ten unter der Ägide des Schieds­gerichts die prozes­suale Regel vere­in­bart, sämtliche Zeu­ge­naus­sagen und Experten­mei­n­un­gen im ersten Schriften­wech­sel zu präsen­tieren. Zudem habe die antizip­ierte Beweiswürdi­gung durch das Schieds­gericht ergeben, dass die besagten Beweis­mit­tel uner­he­blich seien. Eine antizip­ierte Beweiswürdi­gung könne vom Bun­des­gericht allerd­ings nur unter den stren­gen Voraus­set­zun­gen des formellen Ordre pub­lic über­prüft wer­den (E. 4.2.2.3 und E. 5.2.1). Damit ist auch diese Rüge für das Bun­des­gericht unbegründet.

[21] Schliesslich stellt das Bun­des­gericht vor­liegend auch keine Ver­let­zung des Ordre pub­lic fest und weist die Beschw­erde ab, soweit darauf einzutreten ist (E. 5).

Kom­men­tar

[22] Der vor­liegende Entscheid ist hochrel­e­vant und vom Bun­des­gericht entsprechend zur Pub­lika­tion in der amtlichen Samm­lung vorgesehen.

Umfang des Replikrechts

[23] Erstens definiert der Entscheid den Umfang des Rep­likrechts für Schiedsver­fahren mit Sitz in der Schweiz: Das Rep­likrecht kann gemäss Bun­des­gericht durch bewusste Vere­in­barung der Parteien beschränkt wer­den – beispiel­sweise wie vor­liegend auf einen ein­fachen Schriftenwechsel.

[24] Diese Recht­sprechung ist nach Ansicht des Autors zu begrüssen: Lange Ver­fahrens­dauern auf­grund von mehrfachen Rep­liken, Dup­liken, Trip­liken, etc. wur­den von Parteien in Schiedsver­fahren oft bemän­gelt. Die Schied­srichter betra­chteten ihre Hände auf­grund des Rep­likrechts wiederum als gebunden.

[25] Ab heute gilt: Die Parteien haben die Ver­fahrenslänge weit­ge­hend in der eige­nen Hand und dür­fen effizien­zsteigernde Ver­fahren­sregeln gültig vere­in­baren. Das Rep­likrecht ste­ht solchen Vere­in­barun­gen wohl nicht ent­ge­gen, solange der Grund­satz der Gle­ich­be­hand­lung gewahrt bleibt und sich bei­de Parteien zur stre­it­i­gen Frage beispiel­sweise im gle­ichen Umfang und Zeitraum äussern dürfen.

Prob­lemkreis kon­tradik­torisches Verfahren

[26] Während der Entscheid betr­e­f­fend Rep­likrecht zu begrüssen ist, scheint mit ihm die Min­i­mal­gar­antie des kon­tradik­torischen Ver­fahrens nach herkömm­lich­er Def­i­n­i­tion zumin­d­est in Frage gestellt.

[27] In ständi­ger Recht­sprechung definiert das Bun­des­gericht den Gehalt des kon­tradik­torischen Ver­fahrens als das Recht, «die Vor­brin­gen der Gegen­partei zu prüfen, dazu Stel­lung zu nehmen und zu ver­suchen, diese mit eige­nen Vor­brin­gen und Beweisen zu wider­legen» (BGE 133 III 139 E. 6.1; BGE 116 II 639 E. 4.c).

[28] Dieses Recht ist den Klägerin­nen mit Bezug auf die Behaup­tun­gen und Beweis­mit­tel in der Klageant­wort, die über den Inhalt der Ein­leitungsant­wort («Answer to the Request») der Beklagten hin­aus­gin­gen, ver­sagt worden.

[29] Nach der Def­i­n­i­tion des Bun­des­gerichts haben sich die Klägerin­nen in ein­er Weise selb­st beschränkt, die mit der zitierten Garantie des kon­tradik­torischen Ver­fahrens nur schw­er vere­in­bar ist.

Bedeu­tung der Verfahrensvereinbarung

[30] Schliesslich stellt sich auf­grund des Gesagten die Frage nach der Bedeu­tung von Ver­fahrensvere­in­barun­gen durch die Parteien unter Schweiz­er lex arbitri.

[31] Gemäss Art. 182 Abs. 1 und 2 IPRG ste­ht dem Schieds­gericht nur sub­sidiäre Ver­fahren­skom­pe­tenz zu, falls die Parteien das Ver­fahren nicht durch Vere­in­barun­gen selb­st geregelt haben. Diese Regel wird promi­nent durch Art. V.1.d der New York­er Übereinkom­men unter­stützt, wonach das Ver­fahren in Übere­in­stim­mung mit Parteivere­in­barun­gen geführt wer­den muss, um die Voll­streck­ung zu gewährleis­ten (Gabriel, Should Pro­ce­dur­al Orders Be Con­strued as Par­ty Agree­ments Bind­ing on the Arbi­tral Tri­bunal?, ASA Bull. 1/2014, S. 167).

[32] Gle­ichzeit­ig hebt das Bun­des­gericht Schied­sentschei­de, die in Ver­let­zung von vere­in­barten Ver­fahren­sregeln ergan­gen sind, nur auf, wenn zugle­ich die prozes­sualen Min­i­mal­gar­antien gemäss Art. 182 Abs. 3 IPRG ver­let­zt sind (BGE 117 II 346 E. 1.b.aa; Urteil des Bun­des­gerichts 4P.196/2003 vom 7. Jan­u­ar 2004 E. 4.2.2.2).

[33] Vor diesem Hin­ter­grund erhellt, warum das Bun­des­gericht vor­liegend keine klarere Aus­sage zur Bedeu­tung von Parteivere­in­barun­gen über Ver­fahren­sregeln in Schiedsver­fahren macht, son­dern ver­gle­ich­sweise unbes­timmt von Vere­in­barun­gen «avec l’aval du Tri­bunal arbi­tral» spricht (E. 4.2.2.2).

[34] Ger­ade in Kon­stel­la­tio­nen, in denen Parteivere­in­barun­gen über das Ver­fahren poten­tiell mit den Min­i­mal­gar­antien kol­li­dieren (vgl. z.B. oben, Rz. 25 ff.), stellt sich für das Schieds­gericht die heik­le Frage, wie es ver­fahren soll: Wenn das Schieds­gericht die Ein­hal­tung der Min­i­mal­gar­antie höher gewichtet, riskiert es die Anerken­nungs- und Voll­streck­ungs­fähigkeit seines Entschei­ds gemäss New York­er Übereinkom­men. Wenn das Schieds­gericht hinge­gen die Ein­hal­tung der Parteivere­in­barung höher gewichtet, riskiert es eine Aufhe­bung seines Entschei­ds durch das Bun­des­gericht. Dieses Dilem­ma wird durch den vor­liegen­den Entscheid nicht aufgelöst.

[35] Schliesslich ist der Ver­weis des Bun­des­gerichts auf Treu und Glauben inter­es­sant und bietet allen­falls einen Lösungsansatz für das erwäh­nte Dilem­ma. Bere­its 1989 haben Poudret/​Lalive/​Reymond fest­ge­hal­ten, dass eine Änderung der Prozess­regeln, nach­dem sich eine Partei daran gehal­ten hat, wider Treu und Glauben sein kann. Diese Ansicht wurde in der neueren Lehre wieder aufgenom­men (Gabriel/​Buhr in: Hausheer & Wal­ter (Hrsg.), Bern­er Kom­men­tar zur Schweiz­erischen Zivil­prozes­sor­d­nung, Band III, Bern 2014, Rz. 103 zu Art. 373 mit Ver­weis auf die erwäh­n­ten Autoren).

[36] Vor­liegend haben sich die Klägerin­nen um eine Änderung der Ver­fahren­sregeln bemüht, nach­dem sich die Beklagte bere­its daran gehal­ten hat­te (indem sie im Ver­trauen auf einen ein­fachen Schriften­wech­sel umfassend in der Klageant­wort plädiert hatte).

[37] In dieser Kon­stel­la­tion hat das Bun­des­gericht die vere­in­barte Ver­fahren­sregel höher gewichtet, als die Min­i­mal­gar­antie des kon­tradik­torischen Ver­fahrens. Die Ver­let­zung von Treu und Glauben durch die Klägerin­nen hat es dabei aus­drück­lich in die Begrün­dung aufgenom­men (E. 4.2.2.2).

[38] Die mögliche Kon­klu­sion kön­nte laut­en: Die Min­i­mal­gar­antie ist nur dann höher zu gewicht­en als die Ver­fahrensvere­in­barung, wenn die Min­i­mal­gar­antie nicht wider Treu und Glauben angerufen wird.

Zitier­vorschlag:
Simon Gabriel, Min­i­mal­gar­antie ver­sus Ver­fahrensvere­in­barung, in: dRSK, pub­liziert am 21. Juli 2016