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Schiedsgericht versus Schiedsgutachter

Das Bun­des­gericht befasste sich mit dem Ver­hält­nis zwis­chen einem Schiedsgutachter und einem Schieds­gericht. Der Schiedsgutachter hat gemäss Bun­des­gericht keine eigene Kom­pe­tenz-Kom­pe­tenz und erlässt keine Entschei­de mit Recht­skraftwirkung. Die ver­traglichen Voraus­set­zun­gen für ein Schiedsgutacht­en kön­nen dem­nach in einem nach­fol­gen­den Schiedsver­fahren über­prüft (und verneint) wer­den, selb­st wenn das Schiedsgutacht­en bere­its erstellt wurde. Ein ein­fach­er Vor­be­halt im Schieds­gutachter­verfahren erscheint für die spätere Über­prü­fung vor einem Schieds­gericht als ausreichend.

Kom­men­tar von Simon Gabriel zu Urteil 4A_428/2015 vom 1. Feb­ru­ar 2016

I. Sachver­halt

[1] Die Gesellschaft A mit Sitz in Lux­em­burg («Verkäuferin») und die Gesellschaft B mit Sitz in Deutsch­land («Käuferin») schlossen am 18. Dezem­ber 2012 einen Aktien­kauf­vertrag ab («SPA»). Zif­fer 22.5 SPA enthielt eine Schiedsvere­in­barung mit Ver­weis auf die Schied­sor­d­nung der Inter­na­tionalen Han­del­skam­mer (ICC) und Sitz in Zürich. Es wurde deutsches Recht als anwend­bar vereinbart.

[2] Zif­fer 3.8 SPA sah den fol­gen­den Preisan­pas­sungsmech­a­nis­mus vor: In einem ersten Schritt war ein vor­läu­figer Kauf­preis zu entricht­en. In einem zweit­en Schritt war der defin­i­tive Kauf­preis auf Grund­lage ein­er ver­traglich vere­in­barten Berechnungs­methode festzuset­zen. Eine allfäl­lige Dif­ferenz zum vor­läu­fi­gen Kauf­preis war sodann in einem drit­ten Schritt auszu­gle­ichen. Im Hin­blick auf die poten­tielle Kauf­preisan­pas­sung war die Käuferin schliesslich verpflichtet, der Verkäuferin eine genau definierte Schlussrech­nung auszuhändi­gen (E. A.).

[3] Sollte die Verkäuferin mit der Schlussrech­nung der Käuferin nicht ein­ver­standen sein, musste sie nach Zif­fer 4.1.4 SPA innert 20 Tagen detail­liert begrün­de­ten Ein­spruch erheben («Notice of Objec­tion»). Für den Fall eines Ein­spruchs sah Zif­fer 4.2.1 SPA den Beizug eines Schiedsgutachters vor. Dessen Gutacht­en über die Kauf­preisan­pas­sung sollte für die Parteien gemäss Zif­fer 4.2.3 SPA verbindlich sein.

[4] Die Parteien wur­den sich in der Folge über die Kauf­preisan­pas­sung nicht einig. Mit Gutacht­en vom 23. Dezem­ber 2013 kam ein Schiedsgutachter zum Schluss, dass die Käuferin der Verkäuferin einen Betrag von EUR 2473613 zu bezahlen habe. Die Käuferin ignori­erte allerd­ings das Gutacht­en und bezahlte nichts.

[5] Die Verkäuferin leit­ete am 11. Feb­ru­ar 2014 ein Schiedsver­fahren nach den Bes­tim­mungen der ICC Schied­sor­d­nung ein und beantragte im Wesentlichen, die Käuferin sei zur Zahlung von EUR 2473613, zuzüglich Zins zu 10% seit dem 15. Jan­u­ar 2014 zu verpflicht­en. Die Käuferin wider­set­zte sich und stellte sich auf den Stand­punkt, dass die Verkäuferin keinen genü­gen­den Ein­spruch gemäss Zif­fer 4.1.4 SPA unter­bre­it­et habe. Damit ent­falle bere­its die Grund­lage für das Schiedsgutacht­en. Vielmehr sei die Schlussrech­nung der Käuferin verbindlich gewor­den. Die Käuferin beantragte Klage­ab­weisung und widerk­lageweise (unter anderem) Zahlung von EUR 1354000, zuzüglich Zins zu 10% seit dem 17. Juni 2013 (E. B.).

[6] Mit Schied­sentscheid vom 30. Juli 2015 stellte das Schieds­gericht fest, dass die Verkäuferin keinen den Anforderun­gen von Zif­fer 4.1.4 SPA entsprechen­den Ein­spruch erhoben hat­te und die von der Käuferin erstellte Schlussrech­nung damit für die Parteien verbindlich gewor­den sei (Dis­pos­i­tiv-Zif­fer 1). Es hiess die Widerk­lage gut und verurteilte die Verkäuferin zur Zahlung von EUR 1354000, zuzüglich Zins zu 10% seit 17. Juni 2013 (Dis­pos­i­tiv-Zif­fer 2). Das Schieds­gericht wies die übri­gen Anträge ab (Dis­pos­i­tiv-Zif­fern 3 – 13 und 15) und ver­fügte die Kosten- und Entschädi­gungs­fol­gen (Dis­pos­i­tiv-Zif­fer 14).

[7] Mit Beschw­erde in Zivil­sachen beantragte die Verkäuferin vor dem Bun­des­gericht, es seien Dis­pos­i­tiv-Zif­fern 1, 2, 14 und 15 des erwäh­n­ten Schiedsspruchs aufzuheben. Die Käuferin beantragte die Abweisung der Beschw­erde, soweit darauf einzutreten sei.

II. Entscheid

[8] Die Verkäuferin rügte, das Schieds­gericht habe die Bes­tim­mungen über die Schied­szuständigkeit ver­let­zt (Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG). Das Schieds­gericht sei gemäss der Schiedsvere­in­barung in Zif­fer 22.5 SPA nicht zuständig gewe­sen, das Schiedsgutacht­en mit dem Argu­ment zu ignori­eren, die Anforderun­gen an die Anzeige seien nicht erfüllt gewe­sen (E. 3.2).

[9] Das Bun­des­gericht ver­wies zunächst auf seine ständi­ge Recht­sprechung, wonach die Partei, die einen Schied­srichter ablehnen will, das Schieds­gericht für unzuständig oder sich durch einen anderen nach Art. 190 Abs. 2 IPRG rel­e­van­ten Ver­fahrens­man­gel für benachteiligt hält, ihre Rügen ver­wirkt, wenn sie diese nicht rechtzeit­ig im Schiedsver­fahren vor­bringt und nicht alle zumut­baren Anstren­gun­gen untern­immt, um den Man­gel soweit möglich zu beseit­i­gen (BGE 130 III 66 E. 4.3 mit Hin­weisen). Gemäss Bun­des­gericht wider­spricht es Treu und Glauben, einen Ver­fahrens­man­gel erst im Rah­men eines Rechtsmit­telver­fahrens zu rügen, obwohl im Schiedsver­fahren die Möglichkeit bestanden hätte, dem Schieds­gericht die Gele­gen­heit zur Behe­bung des ange­blichen Man­gels zu geben. Eben­so rechtsmiss­bräuch­lich ist der spätere Nach­schub bei ungün­stigem Prozessver­lauf und vorausse­hbarem Prozessver­lust (BGE 136 III 605 E. 3.2.2 und BGE 129 III 445 E. 3.1). Beteiligt sich eine Partei an einem Schiedsver­fahren, ohne die Beset­zung oder Zuständigkeit in Frage zu stellen, obwohl hierzu vor Fäl­lung des Schied­sentschei­ds Möglichkeit bestanden hätte, ist sie mit der entsprechen­den Rüge vor Bun­des­gericht wegen Ver­wirkung aus­geschlossen (E. 3.1).

[10] Das Bun­des­gericht gelangte im konkreten Fall zum Schluss, die Verkäuferin habe die Zuständigkeit im Schiedsver­fahren nicht in Frage gestellt, son­dern vielmehr sel­ber Klage beim Schieds­gericht erhoben und sich vor­be­halt­los auf die Haupt­sache ein­ge­lassen (E. 3.2). Die Verkäuferin habe sich im Schiedsver­fahren selb­st auf den vom Schiedsgutachter bez­if­fer­ten Betrag berufen. Damit habe sie zum Aus­druck gebracht, dass es sich auch nach ihrer Ansicht beim erstell­ten Schiedsgutacht­en nicht um einen voll­streck­baren Recht­sti­tel mit Recht­skraftwirkung han­dle, son­dern dass es hier­für den Entscheid eines Schieds­gerichts bedürfe (E. 3.2).

[11] Gemäss Bun­des­gericht stellte die Verkäuferin nicht in Frage, dass das Schieds­gericht darüber befind­en müsse, ob das Schiedsgutacht­en (trotz genereller Verbindlichkeit für die Parteien) aus einem ver­traglich vorge­se­henen Grund unwirk­sam sei. Sie machte lediglich gel­tend, dass nach den mass­geben­den Bes­tim­mungen des SPA auf die Berech­nun­gen im Schiedsgutacht­en abzustellen sei. Die Verkäuferin erk­lärte sich zu Beginn des Ver­fahrens in den von ihr unterze­ich­neten «Terms of Ref­er­ence» vom 17. Juni 2014 zudem aus­drück­lich damit ein­ver­standen, dass die Frage, ob ihr Ein­spruch den Anforderun­gen nach Zif­fer 4.1.4 SPA genügte, zu den vom Schieds­gericht zu beurteilen­den Punk­ten («issues to be deter­mined») gehöre (E. 3.2).

[12] Zudem gehe aus dem Schied­sentscheid her­vor, dass die Käuferin die Gültigkeit des Ein­spruchs gegenüber der Verkäuferin stets bestrit­ten und sich bere­its im Ver­fahren vor dem Schiedsgutachter vor­be­hal­ten hat­te, sich in einem allfäl­li­gen Schiedsver­fahren auf die Ungültigkeit des Ein­spruchs zu berufen. Somit sei die Verkäuferin vor Bun­des­gericht von der Rüge der fehlen­den Zuständigkeit aus­geschlossen (E. 3.2).

[13] In der Kon­se­quenz entsch­ied das Bun­des­gericht, auf die Beschw­erde sei nicht einzutreten, weil es treuwidrig wäre, ein Schiedsver­fahren ohne Zuständigkeits­vorbehalte einzuleit­en und sich bei neg­a­tivem Aus­gang auf Unzuständigkeit des Schieds­gerichts zu berufen.

III. Kom­men­tar

[14] Der vor­liegende Entscheid ist in dreier­lei Hin­sicht gedanklich anre­gend und relevant:

[15] Erstens stellt sich die Frage nach dem Ver­hält­nis zwis­chen einem Schiedsgutacht­en und einem Schied­sentscheid und ins­beson­dere der Kom­pe­tenz-Kom­pe­tenz des Schiedsgutachters (s. BGE 129 III 535 E. 2 für generelle Hin­weise zum Schiedsgutachten).

[16] Die Frage ist nicht ein­deutig zu beant­worten, da die Schweiz­er lex arbi­tri keine aus­drück­liche Regelung zum Schiedsgutacht­en bere­it­stellt. Die Anwen­dung von Art. 189 ZPO (Schiedsgutacht­en), der für staatliche Gerichtsver­fahren einge­führt wurde, beschränkt sich wohl auf solche. Es ist bedauer­lich, dass das Bun­des­gericht den vor­liegen­den Fall nicht zum Anlass genom­men hat, die grundle­gen­den Fra­gen zum Ver­hält­nis Schiedsgutacht­en – Schieds­gericht zu klären. Punk­tuell wurde immer­hin Fol­gen­des fest­ge­hal­ten (E. 3.2):

  1. Zumin­d­est impliz­it entsch­ied das Bun­des­gericht, dass der Schiedsgutachter über keine eigene Kom­pe­tenz-Kom­pe­tenz ver­fügt. Dieser Ansicht ist beizupflicht­en, da die Ausle­gung des Ver­trags, auf dessen Basis der Schiedsgutachter tätig wird, dem Schieds­gericht (im Sinne ein­er ordentlichen richter­lichen Instanz) vor­be­hal­ten ist.
  2. Zudem klärte das Bun­des­gericht, dass das Schiedsgutacht­en keine Recht­skraftwirkung ent­fal­tet und damit formell keine abgeurteilte Sache (res iudi­ca­ta) vorliegt.

[17] Zweit­ens erge­ht aus dem Entscheid, dass das Bun­des­gericht auf die Sache allen­falls einge­treten wäre, wenn die Verkäuferin bere­its im Schiedsver­fahren einen Kom­pe­ten­zvor­be­halt des Schieds­gerichts betr­e­f­fend Schiedsgutacht­en ange­bracht hätte.

[18] Da dem Schiedsgutachter, wie bere­its aus­ge­führt, keine eigene Kom­pe­tenz-Kom­pe­tenz zukommt, wäre die Beschw­erde nach inhaltlich­er Prü­fung höchst­wahrschein­lich den­noch abgewiesen wor­den. Grund dafür ist, dass das Schieds­gericht befand, dass die Voraus­set­zung für das Schiedsgutacht­en gar nie gegeben war (man­gels kor­rek­tem Ein­spruch gegen die Schlussrechnung).

[19] Die erwäh­nte Recht­slage führt dazu, dass Schiedsgutacht­en in vie­len Fällen ger­ade keine Vere­in­fachung und Beschle­u­ni­gung der Stre­it­bei­le­gung bewirken. Das Gegen­teil ist der Fall. Die unzufriedene Partei hält sich typ­is­cher­weise nicht an das Gutacht­en, son­dern hofft auf einen gün­stigeren Schied­sentscheid. Damit wird das Stre­it­bei­le­gungsver­fahren in zweifach­er Hin­sicht länger und teur­er: Zum einen müssen zwei Ver­fahren geführt und zum anderen im Schiedsver­fahren zusät­zlich die Kom­pe­ten­zprob­leme mit dem Schiedsgutachter abge­han­delt wer­den. Nach hier vertreten­er Ansicht neigen Schiedsgutacht­en ganz generell zu Verfahrenskomplikationen.

[20] Drit­tens stellt sich die Frage, ob die Käuferin im vor­liegen­den Fall mit jen­em Ver­hal­ten erfol­gre­ich war, welch­es das Bun­des­gericht eigentlich in ständi­ger Recht­sprechung miss­bil­ligt (s. oben, Rz. 9): Die Käuferin hat ihren Ein­wand gegen das Schiedsgutacht­en zwar zeit­ig in den Raum gestellt, aber wohl nicht kon­se­quent ver­fol­gt. Vielmehr hat sie das Schiedsgutacht­en abge­wartet. Erst nach­dem dieses für sie ungün­stig aus­ge­fall­en war, hat sie den in Reserve gehal­te­nen Ein­wand nach­drück­lich ins Recht gelegt.

[21] Nach dem stren­gen Massstab des Bun­des­gerichts in Schiedsver­fahren wäre die Käuferin wohl gehal­ten gewe­sen, unmit­tel­bar alle zumut­baren Anstren­gun­gen zu unternehmen, um das Ver­fahren vor dem Schiedsgutachter zu unterbinden, wenn die Voraus­set­zun­gen dafür ihrer Ansicht nach nicht erfüllt waren. Dass die Käuferin in diesem Sinne aktiv gewor­den wäre (z.B. durch Mitwirkungsver­weigerung beim Schiedsgutachter), geht aus dem Sachver­halt im Entscheid zumin­d­est nicht hervor.

[22] Ohne exak­te Ken­nt­nis des voll­ständi­gen Sachver­halts kann nicht abschliessend beurteilt wer­den, ob die Käuferin im Schiedsgutachter­ver­fahren tat­säch­lich treuwidrig gehan­delt hat. Gle­ichzeit­ig zeigt das Beispiel eine weit­ere grund­sät­zliche Prob­lematik von Schiedsgutachter­ver­fahren: Vorge­hensweisen von Parteien, die in Schiedsver­fahren geset­zlich miss­bil­ligt wer­den, sind in Schiedsgutachter­ver­fahren man­gels klar­er geset­zlich­er Regelung oft nur schw­er fassbar.

Zitier­vorschlag:
Simon Gabriel, Schieds­gericht ver­sus Schiedsgutachter, in: dRSK, pub­liziert am 20. April 2016