Chambers Global 2021 The Legal 500 Who's Who Legal Thought Leaders Arbitration 2021 Who's Who Legal 2019 Client Choice winner 2016 Expert Guides

Publikationen

Strenge Rügeobliegenheit in Ablehnungskonstellationen

Kom­men­tar von Simon Gabriel zu: Entscheid 4A_620/2012 vom 29.05.2013

Das Bun­des­gericht erachtet ver­spätete Rügen in Ablehnungskon­stel­la­tio­nen als ver­wirkt. Es stellt klar, dass die Ablehnungs­fris­ten auch für noch nicht bestätigte Schied­srichterkan­di­dat­en” gel­ten. Die poten­tielle Ver­let­zung eines non-waiv­able red list”-Tatbestands der IBA Guide­lines on Con­flict of Inter­est in Inter­na­tion­al Arbi­tra­tion prüft das Bun­des­gericht auf­grund Rügev­er­wirkung nicht. Damit liegt nahe, dass das Bun­des­gericht die Tatbestände der non-waiv­able red list” nicht rüge­un­ab­hängig als untrag­bar übernimmt.

Sachver­halt

[1] Die X. S.A.D. mit Sitz in Spanien betreibt eine Fuss­ball­mannschaft in der höch­sten spanis­chen Liga. Sie lag mit dem uruguayanis­chen Fuss­ball­club Y. über eine Trans­fer­entschädi­gung für einen Spiel­er im Stre­it. Auf Antrag von Y. entsch­ieden die FIFA-inter­nen Organe (d.h. das FIFA Play­ers’ Sta­tus Com­mit­tee und das FIFA Dis­ci­pli­nary Com­mit­tee) zugun­sten von Y., zulet­zt im soge­nan­nten Diszi­pli­nar­entscheid vom 30. Novem­ber 2011. Die X. reichte gegen den Diszi­pli­nar­entscheid der FIFA Beschw­erde beim Tri­bunal Arbi­tral du Sport (TAS) ein.

[2] Mit Eingabe vom 7. März 2012 ernan­nte die FIFA Frau E. als Parteis­chied­srich­terin. Mit Schreiben vom 8. März 2012 lud das TAS die X. ein, zur Eingabe der FIFA Stel­lung zu nehmen.

[3] Mit Schreiben vom 7. Mai 2012 informierte das TAS die Parteien, dass Frau E. fol­gende Umstände offen­gelegt habe: I am an exter­nal con­sul­tant of FIFA in Amer­i­ca regard­ing statutes gov­er­nance and man­age­ment of the federations”.

[4] Im sel­ben Schreiben vom 7. Mai 2012 wies das TAS die Parteien auf Fol­gen­des hin: In the event the par­ties have an objec­tion to the appoint­ment of Mrs E., they may request her chal­lenge with­in a dead­line of sev­en days after the grounds for the chal­lenge has become known, in accor­dance with the require­ments set at Arti­cle R34 of the Code of Sports-relat­ed Arbitration”.

[5] Mit Schreiben vom 22. Mai 2012 informierte das TAS die Parteien, das dreiköp­fige Schieds­gericht (mit Frau E.) sei kon­sti­tu­iert wor­den. Kurze Zeit später, mit Eingabe vom 28. Mai 2012 stellte die X. ein Ablehnungs­ge­such gegen Frau E., da sie als externe Kon­sulentin der Gegen­partei nicht unab­hängig sei. Nach Vernehm­las­sun­gen mit der FIFA und Frau E. wurde das Gesuch an das zuständi­ge Board of Inter­na­tion­al Coun­cil of Arbi­tra­tion for Sport (ICAS) zur Entschei­dung über­wiesen. Dieses wies das Ablehnungs­ge­such der X. als ver­spätet und daher unzuläs­sig zurück, wom­it Frau E. im Schieds­gericht verblieb.

[6] Während der Schiedsver­hand­lung vom 9. Juli 2012 ver­langte die X. Beizug von zwei Doku­menten aus dem Ver­fahren vor dem FIFA Play­ers’ Sta­tus Com­mit­tee unter Hin­weis, dass eine Ver­weigerung dieses Beizugs ihr rechtlich­es Gehör ver­let­zte. Das Schieds­gericht wies den Antrag ab: Die fraglichen Doku­mente hät­ten keinen Bezug zum Diszi­pli­nar­entscheid und wären überdies bere­its im Besitz der X. Für das Ver­fahren wesentliche Doku­mente kön­nten aber noch während der Ver­hand­lung zu den Akten gegeben werden.

[7] In der Folge ersuchte die X. das Schieds­gericht, zwei Doku­mente aus dem Ver­fahren vor dem FIFA Play­ers’ Sta­tus Com­mit­tee zu den Akten zu nehmen. Diesen Antrag wies das Schieds­gericht mit Ver­weis auf Artikel R56 des TAS-Codes als unzuläs­sig zurück. Gegen diesen Entscheid des Schieds­gerichts erhob die X. keine weit­eren Einwände.

[8] Die X. bestätigte zudem am Ende der Schiedsver­hand­lung aus­drück­lich, dass sie keine Ein­wände in Bezug auf die Ver­fahrens­führung und ins­beson­dere nicht betr­e­f­fend das rechtliche Gehör und die Gle­ich­be­hand­lung der Parteien habe.

[9] Mit Beschw­erde vom 17. Okto­ber 2012 rügte die X. vor Bun­des­gericht (i) vorschriftswidrige Zusam­menset­zung des Schieds­gerichts und (ii) Ver­let­zung des rechtlichen Gehörs.

Entscheid

[10] Das Bun­des­gericht befasst sich zuerst mit der Rüge betr­e­f­fend Zusam­menset­zung des Schieds­gerichts (E. 3) und anschliessend mit der Rüge betr­e­f­fend rechtlich­es Gehör (E. 4).

[11] Nach ein­lei­t­en­den Bemerkun­gen zur Unab­hängigkeit von Schied­srichtern betont das Bun­des­gericht mit Hin­weis auf seine bish­erige Recht­sprechung, dass der Ein­wand der vorschriftswidri­gen Zusam­menset­zung ver­wirkt, wenn er von den Parteien nicht unverzüglich gel­tend gemacht wird” (E. 3.2).

[12] Es fol­gen all­ge­meine Aus­führun­gen zur Unter­schei­dung zwis­chen Benen­nung” und Bestä­ti­gung” von Schied­srichtern. Sodann ver­weist das Bun­des­gericht auf die Begrün­dung des ICAS, wonach das Ablehnungs­begehren erst 21 Tage nach Ken­nt­nis des Ablehnungs­grun­des gestellt wor­den sei, anstelle der in Artikel R34 TAS-Code vorge­se­henen und mit Schreiben vom 7. Mai 2012 kom­mu­nizierten 7 Tage.

[13] Die X. argu­men­tierte demge­genüber, dass die Ablehnungs­frist erst mit Bestä­ti­gung der Schied­srichter durch das TAS zu laufen beginne, und eine präven­tive Ablehnung” vor dieser Bestä­ti­gung nicht erforder­lich gewe­sen sei. Zudem habe die X. darauf ver­trauen dür­fen, dass das TAS Frau E. auf­grund von Befan­gen­heit ohne­hin nicht bestäti­gen würde. Die unverzügliche Ablehnung sei erst dann geboten, wenn eine Per­son durch Bestä­ti­gung der Insti­tu­tion (hier durch das TAS) als Schied­srichter einge­set­zt werde.

[14] Das Bun­des­gericht fol­gt dieser Argu­men­ta­tion der X. nicht. Es hält mit Bezug auf BGE 130 III 66 E. 4.2 f. fest, dass die unverzügliche Ablehnung­sobliegen­heit der Parteien auch in Bezug auf Schied­srichterkan­di­dat­en”, die noch nicht bestätigt sind, zur Anwen­dung gelangt. Zusät­zlich ver­weist das Bun­des­gericht auf die aus­drück­liche Fris­tanset­zung im Schreiben des TAS vom 7. Mai 2012. Gemäss Bun­des­gericht musste die X. nach Treu und Glauben die fris­taus­lösende Wirkung dieses Schreibens erken­nen. Somit durfte das TAS aus dem Stillschweigen der X. auf deren Ein­ver­ständ­nis schliessen oder entsprechende Ein­wen­dun­gen zufolge wider­sprüch­lichen Ver­hal­tens als ver­wirkt eracht­en” (E. 3.6).

[15] Gestützt auf diese Begrün­dung schliesst das Bun­des­gericht, dass der X. die Rüge der vorschriftswidri­gen Zusam­menset­zung des Schieds­gerichts gemäss Art. 190 Abs. 2 lit. a IPRG man­gels rechtzeit­iger Rüge im Ver­fahren ver­wehrt bleibt.

[16] Mit Bezug auf die behauptete Gehörsver­let­zung bestätigt das Bun­des­gericht seinen Grund­satz, wonach eine Partei die Rüge eines Ver­fahrens­man­gels ver­wirkt, wenn sie diesen nicht rechtzeit­ig im Schiedsver­fahren vor­bringt und alle zumut­baren Anstren­gun­gen untern­immt, um den Man­gel zu beseit­i­gen”. Beson­dere Treuwidrigkeit erblickt das Bun­des­gericht im Ver­hal­ten ein­er Partei, die vor dem Schieds­gericht ver­sichert, sie habe keine Ein­wände zum Ver­fahren und solche nachträglich im Rechtsmit­telver­fahren den­noch erhebt (E. 4.2).

[17] Indem die X. am Ende der Schiedsver­hand­lung aus­drück­lich bestätigte, dass sie bezüglich rechtlich­es Gehör und Gle­ich­be­hand­lung keine Ein­wände zur Ver­fahrens­führung habe, ist ihre Rüge im Recht­mit­telver­fahren vor Bun­des­gericht ver­wirkt. Das Argu­ment der X., sie habe die zuvor erhobene Rüge nicht zurück­ge­zo­gen, son­dern nur darüber hin­aus keine weit­eren Rügen gel­tend machen wollen, ist für das Bun­des­gericht eine blosse Schutzbe­haup­tung”. Mass­ge­blich ist für das Bun­des­gericht die vor­be­halt­lose Erk­lärung, keine Ein­wände zu haben” am Ende der Schiedsverhandlung.

[18] Damit schliesst das Bun­des­gericht, dass man­gels Rüge im Ver­fahren die Beru­fung auf Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG nicht zur Ver­fü­gung steht.

Kom­men­tar

[19] Das Bun­des­gericht betra­chtet die Frage nach der vorschrifts­gemässen Zusam­menset­zung des Schieds­gerichts nach streng for­malen Kri­te­rien: Wenn eine Partei ihrer unmit­tel­baren Rügeobliegen­heit nicht spätestens innert Frist der anwend­baren Schied­sor­d­nung nachkommt, trägt sie die vollen Recht­snachteile der Rügev­er­wirkung. Dieses Konzept hat das Bun­des­gericht bere­its in früheren Entschei­den ange­wandt und bleibt damit kon­sis­tent (BGE 136 III 605 E. 3.2.2.; BGE 129 III 445 E. 4.2.2.1.).

[20] Die Klarstel­lung des Bun­des­gerichts, dass die unmit­tel­bare Rügeobliegen­heit bere­its für Schied­srichterkan­di­dat­en” gilt, ging aus BGE 130 III 66 E. 4.2 f. noch nicht in dieser All­ge­me­ingültigkeit her­vor. Es hätte auch mit nachvol­lziehbaren Argu­menten vertreten wer­den kön­nen, dass Pri­vat­per­so­n­en erst durch die Bestä­ti­gung der Insti­tu­tion (sofern vorge­se­hen) zu Schied­srichtern wer­den und die Ablehnung von Schied­srichtern erst nach diesem Zeit­punkt möglich und erforder­lich ist. Diese alter­na­tive Ansicht hat das Bun­des­gericht nun aus­drück­lich verworfen.

[21] Offen­ge­lassen hat das Bun­des­gericht jedoch die Frage, ob ein Schied­srichter in beson­ders krassen Fällen von fehlen­der Unab­hängigkeit trotz unter­stell­tem Ein­ver­ständ­nis der Parteien untrag­bar im Sinne von Art. 190 Abs. 2 lit. a IPRG sein kann. Das Bun­des­gericht scheint diesem Gedanken nicht grund­sät­zlich abgeneigt und hat in BGE 118 II 359 E. 3.b. fest­ge­hal­ten, dass die Möglichkeit beste­hen muss, die Unab­hängigkeit der Schied­srichter im Sinne der rechtsstaatlichen Unbe­den­klichkeit zu über­prüfen (für eine Über­sicht der Lehrmei­n­un­gen vgl. BERG­ER/KELLERHALS, Inter­na­tion­al and Domes­tic Arbi­tra­tion in Switzer­land, 2. Aufl., Lon­don 2010, Rz. 812).

[22] Möglich­er Ansatzpunkt für all­ge­mein gültige Min­destanforderun­gen betr­e­f­fend Unab­hängigkeit von Schied­srichtern sind die IBA Guide­lines on Con­flict of Inter­est in Inter­na­tion­al Arbi­tra­tion (IBA Guide­lines). Diese wer­den vom Bun­des­gericht grund­sät­zlich beachtet (BGer 4A_506/2007, E. 3.3.2.2) und definieren eine soge­nan­nte non-waiv­able red list”, die der­art beden­kliche Kon­stel­la­tio­nen beschreibt, dass selb­st die nachträgliche Ein­willi­gung der Parteien eine Schied­srichtertätigkeit auss­chliesst (vgl. IBA Guide­lines PART II, Ziff. 2 auf S. 17).

[23] Art. 1.4 der non-waiv­able red list” beschreibt unter anderem den fol­gen­den Tatbe­stand: The arbi­tra­tor reg­u­lar­ly advis­es the appoint­ing par­ty or an affil­i­ate of the appoint­ing par­ty, and the arbi­tra­tor or his or her firm derives a sig­nif­i­cant finan­cial income therefrom”.

[24] Auf­grund der Sachver­halts­darstel­lung ist nicht auszuschliessen, dass Frau E.s Tätigkeit als Kon­sulentin der FIFA die Voraus­set­zun­gen dieses Tatbe­stands erfüllt hätte. Den­noch hat sich das Bun­des­gericht nicht auf eine inhaltliche Prü­fung ein­ge­lassen, son­dern die Rüge als ver­wirkt zurück­gewiesen. Dieser Umstand legt nahe, dass das Bun­des­gericht die non-waiv­able red list” der IBA Guide­lines derzeit nicht als Massstab für generell untrag­bare Abhängigkeit­skon­stel­la­tio­nen zu übernehmen gedenkt. Andern­falls hätte es sich aufge­drängt, inhaltlich zu prüfen, ob die Voraus­set­zun­gen von Art. 1.4 vor­liegend erfüllt gewe­sen wären. Darauf hat das Bun­des­gericht jedoch verzichtet.

[25] Betr­e­f­fend rechtlich­es Gehör wen­det das Bun­des­gericht eben­falls die bekan­nten for­malen Rügekri­te­rien an: Eine Partei, die einen Ver­fahrens­man­gel nicht rechtzeit­ig im Schiedsver­fahren vor­bringt und alle zumut­baren Anstren­gun­gen untern­immt, um den Man­gel zu beseit­i­gen, ver­wirkt das Rügerecht im Rechtsmit­telver­fahren (E. 4.2.). Das Bun­des­gericht bestätigt auch seine stren­gen Anforderun­gen an die Erk­lärungsklarheit und ‑kon­sis­tenz (BGer 4A_407/2012; BUHR, Hohe Anforderun­gen an mündliche Ver­fahren­srü­gen in Schiedsver­hand­lun­gen, in: dRSK, pub­liziert am 19. März 2013).

[26] Diese Recht­sprechung mag auf den ersten Blick for­mal­is­tisch anmuten, ist im Ergeb­nis jedoch zu begrüssen. In der Hitze des Gefechts ein­er Schiedsver­hand­lung brin­gen Parteien regelmäs­sig alle Art von Rügen (“objec­tions”) vor. Sie stützen sich dabei oft und gerne auf ihren Anspruch auf Gle­ich­be­hand­lung oder rechtlich­es Gehör, um damit ihren Stand­punkt möglichst effek­tiv zu vertreten. Nur in sel­te­nen Fällen, sind die Parteien jedoch am Ende der Ver­hand­lung immer noch der Ansicht, dass ihre grundle­gen­den Rechte tat­säch­lich ver­let­zt wur­den. Wo dies aber der Fall ist, kann und muss eine Partei der Ern­sthaftigkeit ihrer Rüge, z.B. durch Schriftlichkeit oder Wieder­hol­ung Aus­druck verleihen.

[27] Teil­weise wird argu­men­tiert, die Parteien soll­ten nicht gezwun­gen wer­den, das Schieds­gericht durch allzu scharfe Rügen zu verärg­ern (BGer 4A_407/2012, E. 3.2.2.). Das Risiko, dass das Schieds­gericht in der Sache anders entschei­den wird, weil eine Partei einen Ver­fahrensentscheid unmissver­ständlich gerügt hat, ist nach hier vertreten­er Ansicht wohl ver­nach­läs­sig­bar klein. Daher ist es den Parteien zuzu­muten, dass sie ihre Rüge am Ende der Ver­hand­lung noch ein­mal aus­drück­lich zu Pro­tokoll geben oder kurz nach der Ver­hand­lung schriftlich festhalten.

[28] Für Parteivertreter in Schiedsver­fahren gilt dem­nach: Eine Rüge zur Ver­fahrens­führung, die auch in einem Rechtsmit­telver­fahren belast­bar sein soll, ist unmit­tel­bar vorzu­tra­gen und sicher­heit­shal­ber innert weniger Tage schriftlich an die Adresse des Schieds­gerichts zu bestäti­gen. Pro­fes­sionelle Höflichkeit schadet dabei nicht, solange die inhaltliche Klarheit nicht leidet.

Zitier­vorschlag:
Simon Gabriel, Strenge Rügeobliegen­heit in Ablehnungskon­stel­la­tio­nen, in: dRSK, pub­liziert am 17. Juli 2013